- Pompeji, Rom, Ostia: Die Wohnkultur in Italien
- Pompeji, Rom, Ostia: Die Wohnkultur in ItalienGemessen an modernen Vorstellungen vom Wohnen war das Haus der römischen Oberschicht in weit geringerem Maß ein Ort privater Zurückgezogenheit und Intimität. Vielmehr diente es in seiner Anlage und Ausstattung vorrangig der Zurschaustellung des eigenen gesellschaftlichen Status: Wie wir von den antiken Autoren wissen, empfing ein Angehöriger der römischen Nobilität jeden Morgen im gesellschaftlichen Zentrum seines Hauses, dem Atrium, die vielköpfige Schar der ihm juristisch und wirtschaftlich verbundenen Anhängerschaft (Klientel). Gleichsam als Bühne für diese zeremonielle Aufwartung spiegelte daher ein besonders großes und repräsentativ ausgestattetes Atrium das hohe politische Ansehen des Hausherrn wider.Anders als die neuzeitliche Bürgerwohnung kannte das römische Haus auch keine strikte funktionale oder geschlechts- und altersspezifische Differenzierung der Räume etwa in Wohn-, Speise-, Schlaf-, Herren- oder Kinderzimmer. Sparsame Möblierung und leicht bewegliche Einrichtungsgegenstände wie Tische, Sofas und Truhen ermöglichten vielmehr eine sehr variable Benutzung der Räume. Die diversen Empfangs- und Repräsentationsräume unterschieden sich vor allem in ihrer Größe und der Lage innerhalb des Hauses sowie im Aufwand ihres Wand- und Fußbodenschmucks. Daher standen dem vermögenden Hausherrn je nach Anlass große, allgemein zugängliche Räumlichkeiten für festliche Empfänge oder Ess- und Trinkgelage sowie intimere, abgelegene Zimmer für vertrauliche Gespräche mit Freunden oder hochrangigen Gästen zur Verfügung.Der unterschiedliche repräsentative Anspruch einzelner Zimmer schlug sich vor allem in der für den römischen Wohngeschmack so typischen flächendeckenden Wandmalerei nieder. Während die Wirtschaftsräume, Küchen und Skaventrakte allenfalls zurückhaltend durch farbigen Felderdekor ausgeschmückt waren, füllten die Wände der Wohnräume in oft bedrängender Manier fantastische Architekturkulissen, idyllische Landschaftsausblicke, mythologische Bilder, Gerätschaften aus kostbaren Materialen oder scheinbar zum Greifen nahe Stillleben. Nicht eine realistische, räumlich oder inhaltlich nachvollziehbare Einheit war das Ergebnis, sondern eine Fülle möglichst vielfältiger gedanklicher Anreize, die dem Wunsch nach einem luxuriösen und genussreichen Leben Ausdruck gaben. Im Verlauf der Republik und der frühen Kaiserzeit änderte sich in den Dekorsystemen das Verhältnis zwischen architektonischen Durchblicken und geschlossenen Wandflächen auf charakteristische Weise. Die archäologische Forschung unterscheidet daher vier »pompejanische Wandstile«.In Pompeji schufen sich die Hausbesitzer - ebenso wie im Inneren des Hauses - auch im Gartenbereich ein vorwiegend griechisch geprägtes Ambiente, das römische Mythen gänzlich aussparte. Dabei ist deutlich erkennbar, wie sich der »Mittelschichtsgeschmack« der Bewohner dieser Landstadt vor allem ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. an den herrschaftlichen Villen Kampaniens orientierte. Im Miniaturformat ahmten sie zitathaft die prächtigen Gartenperistyle der Reichen mit ihren kostbaren Skulpturenausstattungen, die Wasserspiele und Fischteiche, die Tempelchen und Pergolen nach.Lässt sich von den Häusern der politischen Elite im republikanischen Rom auf der Grundlage literarischer Überlieferungen und geringer archäologischer Reste auf dem Palatin immerhin ein lückenhaftes Bild gewinnen, so fallen entsprechende Befunde von »Mietskasernen«, in denen gewiss nicht nur die einfachere Bevölkerung der kaiserzeitlichen Metropole wohnte, sehr spärlich aus. Zeugnisse aus Pompeji und Herculaneum sowie aus Ostia müssen daher als Ergänzung herangezogen werden. Die soziale Struktur der multikulturellen Hafen- und Handelsstadt Ostia unterschied sich jedoch erheblich von den gesellschaftlichen Verhältnissen der eher beschaulichen Städte am Vesuv.Die großstädtische Wohnkultur Ostias prägten denn auch seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. nicht die niedrig gebauten Eigentumswohnungen pompejanischen Typs, sondern Mietshäuser, in denen mitunter über hundert Menschen wohnen konnten. Durch die Verwendung von Ziegelmauerwerk und »Beton« war eine Gebäudehöhe von drei bis sechs Stockwerken technisch möglich. Die Anlage der Wohnräume orientierte sich nicht mehr allein nach innen auf ein Atrium. Vielmehr untergliederten große Fensteröffnungen die straßenseitigen Fassaden und gaben den dahinter liegenden Räumen und Gängen Licht. Bei größeren Wohnblocks diente ein von Säulen oder Arkaden gerahmter Innenhof der Beleuchtung und dem Zugang zu den Etagenwohnungen. Die Wohneinheiten waren allem Anschein nach geräumig, aber nicht immer aufwendig ausgestattet. Zumal in den Obergeschossen fehlten häufig Küchen, private Bäder und Latrinen. Qualitätvolle Wandmalereien und Mosaikböden gehörten ebenso wenig wie in Pompeji zum durchgängigen Standard: Sie fanden sich vor allem in den luxuriöseren Wohnungen wohlhabender Bewohner. Erst im 4. Jahrhundert n. Chr. kann in Ostia die nachträgliche Ausstattung einiger Häuser mit prächtiger Wand- und Bodenverkleidung aus Marmor beobachtet werden.Dr. Johanna FabriciusBianchi Bandinelli, Ranuccio: Rom, das Zentrum der Macht. Die römische Kunst von den Anfängen bis zur Zeit Marc Aurels. Aus dem Italienischen übersetzt von Marcell Restle. München 1970.Coarelli, Filippo: Rom. Ein archäologischer Führer. Aus dem Italienischen. Freiburg im Breisgau u. a. 41989.Mielsch, Harald: Die römische Villa. Architektur und Lebensform. München 1987.Zanker, Paul: Pompeji. Stadtbild und Wohngeschmack. Mainz 1995.
Universal-Lexikon. 2012.